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Das Grauen

Ma Jaya Manisz
01. Juli 2012 18:18
Ma Jaya lief durch den nachtdunklen Wald, die bloßen Füße sicher und geschmeidig vor sich setzend. Da hörte sie auf einmal den Schrei einer Eule, und hielt inne, denn sie fühlte eine tiefe Bedeutung hinter dem Schrei, als ginge etwas vor sich. Sie blickte sich aufmerksam um und begann einen Baum hinauf zu klettern, in der Hoffnung den Vogel dort oben zu erblicken. Doch auf dem halben Weg den Stamm hinauf, hörte sie ein lautes Krachen und Knachsen im Gebüsch hinter sich. Auch hastige Schritte waren dort zu hören, und mit einem Mal zerschnitt ein grausiger Schrei die Stille der Nacht.

Die Geräusche waren aus südlicher Richtung gekommen und nun bewegte sich Ma Jaya, geschmeidig und vollkommen lautlos, wie ein kleines Wildtier, ein stummer, huschender Schatten nur, auf ihre Quelle zu. Bald waren die Geräusche deutlicher zu vernehmen und Ma Jaya blieb vorsichtig stehen, im Schatten der schützenden Bäume. Sie konnte nichts erkennen, dafür war es viel zu dunkel und die vielen Bäume versperrten ihr die Sicht. Doch auf einmal sah sie einen Lichtschein zwischen den Bäumen aufflackern. Sie dachte nicht lange nach, sondern kletterte völlig lautlos auf den nächstgelegenen Baumstamm. Sie kletterte so hoch sie es sich traute und spähte zwischen den anderen Baumkronen hindurch auf die Szene, die sich dort abspielte. Sie sah eine unheimlich wirkende, sich merkwürdig bewegende kapuzenumhüllte Gestalt, die sich am Brustkorb eines leblosen Körpers, neben dem eine Kerze das unheimliche Bild beleuchtete, zu schaffen machte.

Was tat sie da nur? Ma Jaya wurde es für einen Moment ganz schummrig vor Augen, als sie das ganze Blut sah, welches sich rund um den leblosen Körper herum ausbreitete. Ihr Magen drehte sich einmal um sich selbst, als sie begriff, dass die merkwürdige, unheimliche Gestalt ihren Arm tief im Brustkorb des Leichnams stecken hatte. Nur mit Mühe und Not gelang es ihr, still zu bleiben, sich nicht zu übergeben, nicht vom Baum herabzufallen, nur nicht auf sich aufmerksam zu machen. Was sollte sie nur tun?

Ein Gefühl von furchtbarer Dringlichkeit erfüllte sie. Sie musste Hilfe holen! Gerade als sie dies beschlossen hatte, erschallte ein finsteres, durch und durch böse klingendes Lachen, das von überall gleichzeitig zu kommen schien. Ma Jaya lief ein eisiger Schauer des Entsetzens über den Rücken und sie wurde von einer beinahe lähmenden Furcht ergriffen. Ganz langsam, so vorsichtig und schattengleich wie es ihre zitternden Händen nur zu ließen, hangelte sie sich durch das Geäst und ließ sich am Stamm hinabgleiten. Dann huschte sie von Baum zu Baum, die Bewegungen des wilden Rehes nachahmend, um ja keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Als sie auf einen kleinen Pfad traf, bog sie in diesen ein und begann zu rennen. Ihre bloßen Füße jagten über den Schotter, ohne Rücksicht auf Verletzungen. Beim ersten Haus, auf welches sie traf, hielt sie schwer atmend an und klopfte wie eine Wilde gegen die Tür. Dieser öffnete sich nach innen, doch es war nur das Badehaus und zu dieser nachtschlafenen Stunde waren keine Gäste hier.

Ihre Füße hämmerten weiter über den Boden, da war die Brücke zu der Stadt, Vesper! Das Bild der strengen Wachtfrau trat ihr vor die Augen und sie war schon durch das Tor hindurch, stand schon vor ihr, gestikulierte wild und zeigte über die Brücke, gestikulierte, zeigte das universelle Zeichen des Todes, die durchgeschnittener Kehle, mit Tränen in den Augen und Verzweiflung im Blick. Die Wache war gar nicht so streng, sehr freundlich war sie und zum Glück folgte sie Ma Jaya. Folgte ihr an den Ort des Verbrechens. Dort jedoch lag nur noch die Leiche, von dem Mörder war nichts mehr zu sehen. Eine Welle von Schuld überfloss sie, als Ma Jaya den leblosen Körper betrachtete. Doch was hätte sie tun sollen? Was hätte sie schon ausrichten können?

Sie bot keinen Widerstand auf, als sie der Wache, die sich als Lina vorstellte, in die Stadt folgen sollte. Lina brachte sie in ein Gasthaus, in eines dieser klobigen Gebäude, vor denen sich Ma Jaya so fürchtete. Im Inneren war es gar nicht so ungemütlich, wie sie gedacht hatte. Natürlich, die harte Mauern, das kalte Gefühl, das von ihnen ausging, das war nicht schön. Doch es war nicht nur Gefängnis, das verstand Ma Jaya jetzt. Diese Mauern boten auch Schutz. Sie rollte sich vor dem Feuer auf einem weichen roten Teppich zusammen. Sie war nun müde, furchtbar müde. Das beruhigende Knistern des Feuers, die Wärme und das Gemurmel der wenigen Menschen im Raum wirkten wie eine einlullende Schlafmusik auf Ma Jayas verschreckten Geist. In ihren unruhigen Träumen hallte das unheimliche Lachen wieder und wieder nach und der Anblick der vermummten Gestalt verfolgte sie mit grausamer Intensität.
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Das Grauen

Ma Jaya Manisz25001. Juli 2012 18:18



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