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Eine lange Nacht

Samuel, Wache des
Simulacrum
26. Februar 2016 22:19
Das Licht der Fackeln warf nur einen spärlichen, unruhig flackernden Schein auf die dicken Kerkermauern. Sam stand vor der massiven Metalltür, hinter der "sie" eingesperrt war. Er schwieg. Anfangs hatte der mit ihm eingeteilte Wachmann ihn noch flüsternd befragt. Als alle anderen fortgegangen waren und nur die drückende Stille zurückgelassen hatten. Der war neugierig gewesen, wies zu der Gefangenahme gekommen war. Was war denn passiert? Wie hatten sie das nur hinbekommen? Stimmte es denn wirklich, dass das Lytia war, die berühmte Lytia Fardos, die Herrin der Blutküste? Hatten sie sie etwa aus ihrer Festung entführt? Sam war einsilbig geblieben, hatte nicht geantwortet. Er wollte nicht darüber reden. Er wollte über gar nichts reden, aber besonders nicht darüber und schon gar nicht hier, wo "sie" jedes Wort hören konnte. Und so war sein Wachkumpan schließlich verstummt und es war wieder sehr still geworden.

In der Stille wurden Sams Gedanken sehr laut und die Bilder seiner Erinnerung überdeutlich. Blut, verzerrte Gesichter, noch mehr Blut und Schreie, Wutgeschrei, Schreie der Angst, schmerzerfüllte Schreie, Todesschreie. Jeder einzelne Schrei, den er gehört hatte, schien jetzt in Sams Ohren eingesperrt zu sein. Und nicht nur dort, sondern in seinem ganzen Kopf, nein, sein ganzer Körper war in Wirklichkeit zum Gefängnis von all dem furchtbaren Geschrei geworden. Die Schreie unterschieden sich kaum von dem überall hervorsprudelnden, tropfenden, herausspritzendem Blut. Das Blut schien ein Schrei zu sein, der Schrei schien rot hervorzuschießen, aus klaffenden Wunden.

Sam war nicht mehr so gänzlich unerfahren. Er hatte inzwischen so viele Echsenmänner und andere Ungeheuer getötet, dass er sie gar nicht mehr zählen konnte. War riesigen Ettins und sogar einmal einem mächtigen Dämon gegenübergestanden. Ne, ganz unerfahren war er bestimmt nicht. Aber das heute, das war anders gewesen. Das waren Männer und Frauen gewesen, Menschen, die er nicht kannte und von denen er nichts wusste. Menschen, die ihm nie was getan hatten. Sie waren eigentlich genau wie er. Er hatte das in ihren Augen gesehen und in ihren Schreien gehört. Sie kämpften, um ihre Herrin zu schützen. Er für das Simulacrum.

Aber sie waren selbst schuld, wiederholte er zum unzähligen Mal in seinen Gedanken. Was dienten sie auch einer bösen Zauberin wie Lytia Fardos. Sie hätten es besser wissen müssen. Lieber hätten sie sich dem Simulacrum angeschlossen. Dann hätten sie gemeinsam gegen die Magierin gekämpft oder hätten gar nicht gegen sie kämpfen müssen, weil sie auch ohne die Hilfe der Blutküste genug Kämpfer gewesen wären um Buccs zu befreien. Sie waren wirklich selbst schuld an ihrem Tod. Wahrscheinlich waren sie sowieso genau so böse wie ihre "Herrin" gewesen.

Zwischen den Stäben des gut vergitterten Fensters neben der Metalltür quoll aus der Zelle hinter ihm ein langgezogenes Stöhnen hervor. Es kroch durch den schmalen Gang, wurde von den dicken Wänden zum Teil verschluckt. Nur ein hohles, dumpfes Rinnsal blieb davon erhalten und bohrte sich quälend in Sams große Ohren. Er versuchte nicht hinzuhören, doch es war unmöglich. Das Geräusch war Sam unerträglich. Ebenso wie der Anblick der kleinen, in unpassende Gewänder gehüllten Frau, die an der Wand der Zelle angekettet und mit einem Metallkragen um den Hals zusammengesunken schlief. Er konnte noch so oft daran denken, wie gefährlich und böse sie war. Es half nichts. Wenn er sie ansah, konnte er nur eine Frau sehen. Eine Frau, die litt. Manchmal sah sie aus wie Efia, die Blumenhändlerin. Manchmal wie seine Mutter. Manchmal meinte er, Xyrea hinge dort, Perdia, oder Nelene oder sogar Nedime. Wenn er sie ansah, kostete es ihn alle Kraft, die er nach diesem Abend noch hatte, nicht in die Zelle zu stürmen und sie zu befreien. Deswegen warf er nur selten einen prüfenden Blick in die Zelle. Nur um seiner Pflicht nachzukommen.

Um sich von den quälenden Gefühlen, die in seinem Inneren tobten, abzulenken, dachte Sam darüber nach, wie es jetzt weitergehen würde. Würde es wirklich zum Krieg kommen? Und was würde aus Arbiter Nedime werden? Nie zuvor hatte er sie so resigniert gesehen. Oder doch, einmal vielleicht. Im Nordlager. Als sie gemeint hatte, sie hätte versagt. Hätte Falin Relor und die Rast besser schützen müssen. Versagen. Sam schüttelte den Kopf. Er versagte ständig. Konnte nichts dran ändern. Spätestens, wenns um Worte ging, musste er unweigerlich versagen. Und mit dem Schwert traf er auch nicht immer. Auch dann nicht, wenns wirklich wichtig war. War er deswegen in ihren Augen nichts wert? Ihm kams nicht so vor. Aber vielleicht wars auch was anderes, weil sie schon viel mehr konnte als er und weil sie weit über ihm stand und wenn sie was entschied und sie was tat, dann musste es ganz genau treffen und ganz genau richtig sein. Weil jeder Fehler nicht nur ihr selbst schadete, sondern vielen anderen auch.

Es war dunkel geworden im Gang, noch dunkler als zuvor. Eine der Fackeln war beinahe ausgebrannt, glomm nur noch schwach und rot vor sich hin. Sam setzte sich in Bewegung, froh, etwas zu tun zu haben. Er fühlte sich ähnlich ausgebrannt wie diese Fackel. Oh, er sehnte sich nach der Ablösung, sehnte sich nach seinem Bett. Doch die Nacht war noch lang.
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Eine lange Nacht

Samuel, Wache des
Simulacrum
21926. Februar 2016 22:19



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