Immer wieder sah Xyrea zu Vlos'Drathirs Schreiben. Sie hatte es von ihrem Arbeitstisch aus gut sichtbar platziert, als Mahnmal. Sie wollte nicht selbst als Briefpapier enden, so forschte und schrieb sie unermüdlich weiter. Wochenlang. Tief in die Nächte hinein, manchmal schlief sie auch gar nicht. Sie korrigierte ihre Arbeit selbst mehrere Male, hätte fast nochmal von vorne angefangen.

Nebenbei musste sie auch noch ab und an ein Lebenszeichen von sich geben, mal einen Stammtisch ausrufen oder zu einem sehr interessanten Vortrag erscheinen. Die Magica Phaenomina erwartete ebenfalls - zurecht, - dass sie an gemeinschaftlichen Ausflügen teilnahm.

Doch schließlich und endlich war es ihr gelungen. Die vermalledeite These stand, und ob sie jetzt hier oder da zu weit vom eigentlichen Thema abgewichen war, störte sie irgendwann gar nicht mehr so sehr - es gehörte ja doch alles zu dieser Applicatio. Es musste so viel dazu gesagt werden, kaum etwas war unwichtig genug, es nur in einem Nebensatz zu erwähnen. Sie wusste genau, was sie fast unerwähnt ließ, da es nur weitere zahllose Pergamente zu ihrer Arbeit hinzugefügt hätte, und was die Schwerpunkte beim Blick auf diese Applicatio waren.

Nun galt es nur noch, diesen Drow zu überzeugen, dass ihre Arbeit einer Maga wert war.
Bisher hatte sie das Gefühl, einigermaßen mit ihm umgehen zu können, was nicht zuletzt an ihrer Vergangenheit und seinem Wohlwollen oder eher seiner der Arroganz geschuldeten Unachtsamkeit liegen musste. Die wenigen Momente, in denen andere "mit dem Drow umgehen mussten", schienen ihr weniger glimpflich zu verlaufen. Vielleicht profitierte sie auch noch von einer Art Welpenschutz; der Drow sah sie eben nur als Adepta und Mensch, diesen Vorteil wusste sie zu nutzen. Schön den Kopf unten halten, im wahrsten Sinne des Wortes. Zu lang wollte sie ihm nicht in die Augen schauen müssen.

Sie erinnerte sich an ihr erstes Zusammentreffen mit ihm. Schweißgebadet vor Angst war sie danach, doch zum Glück schien er ihr nichts anzumerken - oder ließ es sich nicht anmerken. Den Geruch wird er auf üblichen, erbärmlichen Menschen-Angstgeruch geschoben haben, den Grund wird er sicher fehlgedeutet haben, dass man als Mensch eben Angst vor den hinterlistigen Drow hat. So eingebildet war er mit Sicherheit.


Xyrea stand neben der Frisierkommode. Nach kurzem Zögern machte sie einen Schritt darauf zu, beugte sich vor und schaute in den Spiegel. Ein ausgesprochen junges Gesicht auf zierlichen Schultern schaute zurück. Auf etwa 17 Sommer würde ein Mensch sie schätzen. Ganz so jung war sie allerdings nicht mehr.
Nach einem Moment fuhr sie sich über ihre schneeweißen Haare, führte die Hand vor, zum Gesicht, und ließ die Fingerspitzen sanft auf den hohen Wangenknochen liegen. Sie schaute sich selbst lange in die Augen. Wüstengelbe Augen, in denen mit citrinfarbenen Sprenkeln ein Feuer loderte.
Arcomagus Craven McQuire hatte es auf Anhieb bemerkt. Ungewöhnlich. Sie war innerlich erstarrt, als er es ansprach. Zu ihrer großen Erleichterung brachte er schon im nächsten Moment selbst als Erklärung die Vielfalt des Lebens auf. Was eine Rettung, auf diese haarscharfe Situation. Diese Erklärung würde sie in Zukunft nutzen, war es doch nichtmal gelogen.

Seufzend ließ sie vom Spiegel ab. Sie konnte ja doch nichts dafür, dass sie war, wer sie war. Sie konnte nur das beste aus ihrem Leben machen, so lange oder kurz es auch sein mochte. Und sie hatte viele Ziele. Eigene und auferlegte. Doch bald schon würde sie eines mehr davon erreicht haben.

Sie atmete tief durch, schüttelte jegliche Reste der Melancholie ab und setzte sich wieder an ihren Schreibtisch. Das Fazit hatte sie vorhin fertig gestellt, die Gliederung überprüft. Nun musste sie alles noch einmal so ordentlich wie möglich abschreiben und endlich dem Drow antworten.



2-mal bearbeitet. Zuletzt am 28.03.23 10:34.