Die folgenden Wochen und Monate trafen sich Pyra und Raynier des Öfteren an verschiedensten Orten.
Pyra hatte in in die Kunst der Geheimdiplomatie eingeweiht:
Die Verwendung eines toten Briefkastens zur Übermittlung chiffrierter Nachrichten und wie man seine Wege vor neugierigen Augen verschleierte, waren die ersten und wichtigsten Lektionen.
Pyra wollte ihre Treffen so geheim wie möglich halten, denn sie sah in den Spannungen zwischen Schwestern und Templern einen Vorteil den sie nutzen wollten.
Wenn alle davon ausgingen, dass sie zerstritten und sich nicht wohlgesonnen waren, würde man gut sehen können wo Loyalitäten lagen, wer wem gegenüber welche Worte wählte und man konnte sich im Geheimen unterstützen, was es Gegnern schwer machte sie einzuschätzen.

Während dieser in beiderseitigem Nutzen gewählten Diplomatie, ging sie sehr geschickt vor, um seinen Stand und Ruf zu verbessern und ihn zu einem guten Anführer zu machen.
Dabei bevormundete sie ihn nicht, statt dessen ließ sie ihn eigene Entscheidungen treffen, eigene Fehler machen und griff lediglich beratend ein.
Pyra machte nie einen Hehl daraus dass sie in allererster Linie im Interesse der Schwesternschaft handelte. Im Moment deckten sich ihre Ziele mit seinen Bedürfnissen, daher war sie ihm eine gute Lehrerin. Doch er lernte, dass manche Verbundenheit zeitlich begrenzt war und gebrochen werden konnte und musste, so es die Zeiten erforderten.
Im Spiel der Macht waren sentimentale Gefühle fehl am Platze.
Dennoch wäre es für einen Beobachter offensichtlich gewesen dass sie sehr gut harmonierten und ihre Treffen mit der Zeit häufiger wurden als unbedingt nötig gewesen wäre.
Sie lachten viel und Raynier gewann den Eindruck, dass sie es genoss in seiner Gegenwart die Maske der Tochter des Mondes zumindest ein Stück weit fallen lassen zu können.

Zuerst musste Raynier seinen Stand im OMT festigen und den Respekt der Brüder verdienen.
Die meisten von ihnen hatten nicht verstanden wie Jaques de Molay einen jungen gerade erst geweihten Ritter zum Großmeister berufen konnte. Er war unerfahren und nie herausgestochen was seine Kampfkraft oder Geschick als Anführer betraf.
Daher begegneten ihm im OMT viele mit unverhohlenem Trotz und wurden lediglich von Gottfried Bisols strenger Hand im Zaum gehalten.
Pyra gab ihm guten Rat wie man als Oberhaupt Respekt verdienen und halten konnte.
Die Absprachen die sie trafen gaben ihm Gelegenheit als geschickter und bedächtiger Anführer aufzutreten, der den Konflikt zwischen Schwesternschaft des Mondes und OMT umsichtig und zum Vorteil der Templer führte.
Verwundert stellten sie fest dass der junge Großmeister diplomatisches Geschick entwickelte welches ihm niemand zugetraut hätte.
Auch militärisch trat Raynier zunehmend überlegt auf und führte das Schwert des Ordens wie ein Skalpell zielgerichtet und mit dem minimalst nötigen Aufwand.
Dass die Templer nach und nach die Kontrolle über das Gebiet von Vesper übernahmen, war kein Zufall und von Pyra und ihm geschickt geplant. Pyra hatte ihm geraten wie er mit dem Triaten umgehen musste um dabei keinen Zorn zu erregen und wie er seine Macht zum Nutzen des Herzogtums und der Menschen darin nutzen konnte.
Der OMT verfolgte dabei durchaus eigene Ziele und Raynier verlor niemals das Wohl und die Zukunft seines Ordens aus den Augen, ganz wie er es gelernt hatte.
Er war kein Vasall, aber ein treuer Verbündeter.
Mit der Zeit wuchs sein Ruf und seine Position festigte sich mehr und mehr. Seine Männer respektierten ihn jetzt und vertrauten seinen Entscheidungen.
Vor allem Gottfried freute sich über diese Entwicklung. Er war der einzige Templer, der in die Sache mit Pyra eingeweiht war und war anfangs wenig begeistert davon. Doch er sah die Vorteile und wachte über Raynier, ganz wie er es gelobt hatte.

Doch bald sollten sich die Dinge ändern.