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Winterliche Gedanken

Nedime
20. Dezember 2011 01:55
Der Talg brodelte. Verführerisch flackerte die Flamme, deren gefräßige Gier sich mehr und mehr der fettigen Substanz einverleibte und im Gegenzug bloß stinkende Gase, die in der Nase kitzelten und zum Erbrechen anregten, wieder freigab. Nicht unähnlich dem Habitus dicker, fauler Schwächlinge, die Geburt oder scheinbares Glück mit unverdientem Reichtum ausgestattet hatte, und die hauptsächlich aus Mund, Schlund, Rachen und natürlich tüchtigen Verdauungssäften zu bestehen schienen, dachte sich die Rastwache, deren krankbleiche Haut, vom Lichtlein schwach erhellt, sich unheimlich von der Dunkelheit des Raumes abhob. Hässliche, aufgedunsene Leiber; Wirte von nicht minder verdorbenen Geister, die scheinbar erpicht darauf waren, ihre Unzulänglichkeiten mit dem bloßen Konsum, der Aufnahme von dem, was sie nicht erkämpft, sondern ihnen bloß zugefallen war, irgendwie zu überdecken. Doch Eracs stummen Richtspruch kann der Schwache nicht entkommen, ganz gleich welchen Panzer er sich auch anfrisst. Wo der Krieger nach großem Kampfe neue Stärke aus der Beute; den Überresten seiner überwundenen Gegner gewinnt, wo er seinem Körper neue Nahrung gibt, auf dass dieser, seinem Beispiel folgend, aus dieser kampfbereite Stärke in Form gestählter Muskeln und kräftiger Knochen mache, da stopft die Dekadenz sich umsonst den Wanst voll; bringt es jener Versager doch nur zu Stande, noch mehr nutzloses, schwerfälliges, weiches Fleisch zu erzeugen. Nun, zumindest zum verbrennen eignete es sich wohl, gestand Nedime dem zu, womit sich der Kreis schloss.
Es war nur wenige Stunden nach der Mittagszeit und dennoch wäre es ohne die Talglampe im Versammlungsraum stockfinster gewesen. Mit Schrecken hatte sie vernommen, dass das, was diese Nordländer "Winter" nannten, auch dieses, weil jedes Jahr diese Gebiete heimsuchen würde. Und so war es auch geschehen. Die Tage waren so kurz, man konnte sie eigentlich nur eine kurze Abwechslung von der ansonsten beständig herrschenden Nacht nennen. Eigentlich, so hätte man meinen können, sollte Nedime dieser Umstand entgegen kommen; war sie doch seit jeher ein Kind des Mondes gewesen, das dem Antlitz der Sonnenscheibe nicht standzuhalten wusste. Doch sie war andere Nächte gewohnt. Laue Nächte, wie jene die es auf der goldenen Insel gegeben hatte. Nicht diese Frosthöllen!
Nedime bleckte die Zähne und starrte in das winzige Feuer, dass keck vor ihren Augen hin- und hertanzte. Lachend versprach es ein Quentchen Wärme, doch in Wahrheit würde es nur brennen. Sie kannte dieses Spiel und würde den Verlockungen nicht erliegen.
Ungefähr zur selben Zeit im letzten Jahr war es gewesen, erinnerte sie sich. Zu einer gar unsäglichen Gelegenheit hatte sie sich erlaubt, im Strom ihrer Gedanken zu versinken und Durch-lebtes wieder auf-leben zu lassen. Es war im Krieg; realisierte sie. Umgeben von Feinden und... noch mehr Feinden. Wo stand sie heute? Im Exil, in der Verbannung; musste sie sich zähneknirrschend eingestehen. Ihre Feinde warteten, weil sie es sich leisten konnten; so wie sie es schon damals taten. Sie sahen unerbittlich ihrem Sieg entgegen und oh, sie waren mehr und sie waren mächtiger geworden. Hatten sich die nun endgültig einverleibt, für welche Nedime einst noch kämpfen wollte. Nun waren jene ein Hindernis geworden; ein Schutzwall für ihre eigentlichen Feinde. Es war zu absurd! Kannte die Blindheit den keine Grenzen? Der Plan des Gezüchts war so einfach, jedes Kind auf Nujel´m hätte ihn durchschaut. Doch dies war nicht Nujel´m; etwas, was ihr stets mehr als schmerzlich bewusst gemacht wurde.
Der Krieg selbst war eingefroren; in einem Gefängnis auf Eis, wartend, dass der kräftige Strahl der Sonne ihn endlich entfesseln möge. Oh bei Erac, Nedime sehnte sich nach ihm! In den letzten Monden war es geradezu unerträglich geworden. Ihre Aufgabe, als Korporal der Rastwache für Ruhe und Ordnung in der Rast zu sorgen, machte es nicht gerade besser. Der Schlachtenwolf in ihr wollte entfesselt werden und gab sich mit kleineren Scharmützeln, in denen er von der Leine gelassen wurde, immer weniger zufrieden. Gold und Vertrag banden sie an den Rastherren und dessen Willen; aber insgeheim wusste sie, dass dies nicht die einzigen Gründe waren, wesshalb sie das Drängen in sich niederringen musste. Es reichte einfach nicht! Sie hätte sich nie erträumt in eine Welt zu geraten, die sie, welche stets die Kämpfe anderer gefochten hatte, sei es als Sklavin in der Arena, nach dem Willen ihrer Besitzer oder als Söldnerin gewesen, dazu brauchte in den Krieg zu ziehen. Doch nun sah es tatsächlich so aus, als würde der Strahl niemals kommen, biss sie nicht in diese bittere Feige und würde selbst zu jenem.
Diese Aussicht ließ sie frösteln. Nedime kannte sich zu gut, um ihre Grenzen nicht zu sehen. Sie war eine Kriegerin! Die Schlachtfelder waren ihr Zuhause; die großen glorreichen und, beinahe noch mehr, die kleinen in denen mit bloßen Klauen ums Überleben gekämpft wurde. Sie war bereits einmal tief gefallen; tiefer als die meisten, sie selbst damals inbegriffen, es sich überhaupt vorstellen konnten. Vom Palast des sorgenfreien Reichtums herab in den blutgetränkten Sand der Arena. Von ihrer Freiheit befreit, ohne Münze, ohne Schwester, ohne Hoffnung; mit einem zerfetzten Kleid am verbrannten Leibe und mit leeren Händen hatte man sie zur Belustigung, denn die Mächtigen lieben die Ironie, zum Sterben in den Ring geworfen. Und sie hatte überlebt! Es waren scheinbar aussichtslose Kämpfe; aber sie hatte überlebt! Dies nun war anders. Bisher war der Krieg stets zu ihr gekommen und ließ sich selten bitten. Nun sollte es auf einmal an ihr sein, ihm hinterher zu jagen? Was war geschehen, dass dieses so vertraute Verhältnis sich auf einmal umdrehen musste? Nedime wusste es nicht recht und es war wohl auch sinnlos sich über die Gründe Gedanken zu machen.
Vor ihr lag ein riesiger Berg und sie hatte nicht das rechte Werkzeug um ihn zu erklimmen. Sie war keine Rednerin! Sie vermochte nicht zu schmeicheln, falsch zu loben oder der Eitelkeit von Narren gefallen. Sie hatte eine scharfe Zunge, aber eine die barsch und offen Wahrheiten in Gesichter spuckte, die diese nicht wahrhaben wollten. Wie sollte sie tauben Ohren und blinden Augen eintrichtern, was sie doch hören und sehen mussten?
Ein falscher Schritt und der Berg würde sie abwerfen; bloß ein nutzloser Tod. Ihr Feind war nicht ein herkömmlicher Gegner aus Fleisch, dem sie mit gekonnten Klingenstreichen das Blut rauben konnte; mit jenem hätte sie umzugehen gewusst. Nein, schlug man ihrem Feind einen Kopf ab, so sprossen zwei neue an dessen Stelle hervor. Denn darauf verstand er sich: aus der Niederlage einen Sieg zu machen! Es bedurfte mehr als bloß Unbeugsamkeit um ihm gefährlich werden zu können, das wusste sie und dennoch war dies das einzige, wozu sie momentan in der Lage war.
Es würde ein harter und langer Weg werden; vorausgesetzt sie kam überhaupt so weit, um die Zeit die er ihr raubte bedauern zu können, gestand sie sich humorlos lächelnd ein. Aber ihn nicht zu gehen, war keine Alternative. Ja, mit etwas Glück würde ihr ein Verzicht ein paar Jahre schenken; doch ihr erstes Versprechen erlaubte keine derartige Schwäche und ihr zweites keinen Aufschub...
Donnernd knallte ihre Faust auf den unsteten Tisch und durchbroch die Stille, die ihren Verstand vergiftete und ihn verführte sich mit sich selbst und seinen Erinnerungen und Gedanken zu beschäftigen. Kräftig schüttelte sie sich die Flausen aus dem Schädel. "Lamentieren hat noch niemanden etwas gebracht! Es wird Zeit sich dem zu widmen, was unmittelbar ansteht!"
Einige Wachen mochten dem in die schwarze Flockennacht hinauseilenden Korporal noch betreten nachsehen und einige vielsagende Blicke wechseln. Jedoch einigten sie sich still darauf, sie nicht um eine Erklärung zu bemühen.
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