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"Wärst Du stolz auf mich, Vater...?"

Tareana Eichhof
18. Januar 2012 00:37
Um diese Zeit war sie am Liebsten im Tempel. Längst hatten sich die meisten ihrer Ordensbrüder und - schwestern zu Bett begeben, denn noch vor dem Morgengrauen würden sie sich wieder erheben, um der Frühmesse beizuwohnen. Der Tagesablauf im Orden war streng geregelt, aber sie fühlte sich nicht gemassregelt. Vielmehr hatten ihr diese festen strukturen von Anfang ein ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit gegeben, in einer Zeit, in der sich in ihrer Welt alles zu drehen schien. Jetzt war es fast ganz still - lediglich die entfernten Schritte der Wachmannschaft auf den Mauern drangen an ihr Ohr, begleitet von dem sanften und allgegenwärtigen Rauschen des Meeres, genauso wie dem gelegentlichen Knistern der Kohlen in den Kohlebecken, die es zwar nicht schafften, die gesamte Kälte aus dem grossen Raum zu vertreiben, seine Mauern aber in ein warmes, anheimelndes Licht tauchten.

Heim...

Sie senkte den Blick und betrachtete den dünnen, feinen Schnitt in ihrer Handfläche, der bereits wieder am Abheilen war, dann schaute sie auf die Steinplatte vor dem Altar, unter dem sie sicher verschlossen den Grundstein wusste, geweiht mit ihrem Blut und dem Blut ihrer Ordensbrüder, in jener denkwürdigen Zeremonie vor zwei Tagen. Sie erinnerte sich noch genau an den Gottestdienst, an die Worte des Schwurs, und wieder stieg ein warmes Gefühl in ihr auf. Auch wenn es nur ein leises Echo dessen war, was sie empfand, als sie die Zeremonie durchführte, so brachte es sie zu einem Lächeln. Sie schloss die Augen einen Moment, und ein leises "Danke.." verliess ihre Lippen, kaum hörbar, doch derjenige, an den es gerichtet war, würde es auch hören, wenn sie es nur in ihrem Geist gesprochen hätte.

Sie war dankbar für dieses Heim und die neue Familie, zu der sie durch Agharams Gnade und Weisheit geführt worden war. Sie war dankbar dafür, dass sie den Krieg verhältnismässig gut überstanden hatte, und sie war dankbar, dass sie ihre Zweifel ablegen konnte. Aber dennoch.. "Wärst Du stolz auf mich, Vater...?" flüsterte sie leise, und legte eine Hand auf den Altar. "Ich weiss, alles was Du für mich wolltest, war ein sicheres, geborgenes Heim, fernab von Kampf, Krieg und Gefahren, damit ich nicht das Gleiche würde durchmachen müssen wie Du und Mutter. Und nun hat Agharam mich erwählt, und ich habe mich Gefahren und Schlachten gestellt, die ich mir finsterer nicht hätte vorstellen können. Aber dennoch habe ich fernab von Zuhause ein Heim gefunden, eine Familie, und einen Mann, der mich liebt... auch wenn ich weiss, dass Du ihn vom Hof gejagt hättest, hätte ich ihn zuhause getroffen..." Ihre Finger streiften über den kühlen Stein, und wieder musste sie unwillkürlich lächeln. "Aber ich denke, Du hättest ihn dennoch gemocht. Vielleicht, weil er ein bisschen ist wie Du. Und mach Dir keine Sorgen. Er kümmert sich gut um mich. Und ich habe gut gelernt, auf mich aufzupassen, auch wenn Du mir nie zeigen wolltest, wie man ein Schwert führt." Sie hielt inne und seufzte etwas. "Ich vermisse Dich immer noch so sehr. Du hast Dein Leben gegeben, um mich zu schützen. Und jetzt.. kann ich andere schützen und gegen das Dunkel kämpfen. Ich hoffe, Du bist stolz auf mich..."

Einige Momente verharrte sie noch am Altar, bevor sie sich umdrehte, die Stufen hinabschritt und den Tempel verliess. Vor dem Tor schlag sie ihren Umhang um ihre Schultern, um sich gegen den kalten Wind zu schützen, dann trat sie den Heimweg zu dem Häuschen an, dass sie gemeinsam mit ihrem Gatten bewohnte. Und irgendwie wusste sie plötzlich, dass ihr Vater stolz auf sie sein würde.
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Tareana Eichhof26518. Januar 2012 00:37



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