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In einer fremden Haut

Samira
22. April 2012 15:16
Samira wälzte sich unruhig auf den frischen, doch rauhen Laken hin und her. Träume erfüllten ihren ruhelosen Geist, Fetzen erlebter Wirklichkeit, die sich mit verzerrten Ausgeburten ihrer Phantasie mischten. Ihr Körper, der sich in den letzten Wochen so sehr an die Härte des Holzbodens und die kitzelnden, stechenden, sie zum Niesen bringenden Heuhalme gewöhnt hatte, reagierte auf die Gemütlichkeit der weichen Matratze mit Verwirrung. Immer wieder wachte sie in dieser Nacht kurz auf, nicht vollständig, sondern nur so weit, dass sie wahrnahm, in einem Bett zu liegen und glaubte, sie sei wieder daheim, bei ihren Eltern in Magincia.

Als die Morgensonne durch das kleine Fenster des einfachen Häuschens hineinschien, genau auf das Bett, in dem Samira lag und schlief, waren die Laken schweißgetränkt, die Decke war heruntergerutscht und ihr entblößter Körper hatte sich eng zusammengerollt, die Arme schützend um die Knie geschlungen. Das warme Sonnenlicht besänftigte die Gänsehaut, die sich ihr in der kühlen Morgenluft vom Nacken an, den Rücken hinunter gebildet hatte. Ihr verkrampfter Körper entspannte sich durch diese wohltuende Wärme, die wie eine große, schützende Hand auf ihr ruhte. Genau vor ihrem Fenster begann eine Drossel den Frühling zu besingen, mit einer fröhlichen, von Kapriolen durchsetzten Melodie, die in das schlafende Mädchen hineinzufliessen begann und, die Reste dunkler Alpträume hinfort fegend, tiefen Frieden in ihren Geist trug.

Samira erwachte. Sie betrachtete still ihre Hand, die vor ihrem Gesicht auf dem zerknitterten Leintuch ruhte. Bewegte die Finger, einen nach dem anderen, dachte dabei an nichts, nahm nur den rauhen, sauberen Stoff unter sich wahr, das Gefühl der Wärme auf ihrem Rücken, das süße, unbeschwerte Lied des Vogels. 'Sie singt es für ihren Liebsten...' schoß es ihr durch den Kopf und sie lächelte verträumt vor sich hin. Sie würde gleich aufstehen und zu den Ställen gehen, zu Talamir, würde ihm liebevoll das Haar zerwuscheln, während er seinen Kopf in der Beuge ihres Halses verbergen würde, wie er es immer tat... schon begann sich ihr Körper im Bett aufzurichten, schon begannen ihre Hände nach ihrer Kleidung zu tasten... und kamen auf glattem, festen Leder zum Halten. Überrascht richteten sich ihre Augen auf das, was ihre Hände am Fußende ihres Bettes zu fassen bekommen hatten. Es war eine Rüstung aus dickem, grauen Leder die dort lag.

Sie zuckte mit ihrer Hand zurück, als wäre sie gebissen worden. Unverständnis lag in ihrem Blick und einen Moment lang starrte sie dass fremd wirkende, hart und unversöhnlich glänzende Rüstungsteil an, wie man eine Schlange ansehen würde, die plötzlich aus dem einladend wirkenden Kissen des Bettes hervorlugte, während man gerade im Begriff gewesen war, seinen Kopf dorthin zu legen. Dann fiel ihr alles wieder ein.

Sie war nicht bei ihren Eltern in Magincia. Sie würde nicht gleich in die Ställe gehen und Talamir begrüßen. Sie würde Talamir nie wiedersehen, denn sie war verbannt worden, in dieses ferne Land. Verbannt um zu werden, was ihre Eltern sich von ihr erhofften. Eine mächtige Magierin. Mit zusammengebissenen Zähnen starrte sie zu dem großen Tisch in der Mitte des Raumes, auf dem das dicke, in rotes Leder eingeschlagene Runenbuch lag. Nun gab es kein Entrinnen mehr, das wusste Samira. Deutlich standen ihr die Bilder des gestrigen Abends vor Augen. Die Tutora, der Arcomagus, der Raum mit den verstümmelten Körpern entsetzlich anzusehender Kreaturen, der Lehrsaal, in dem ihr Tutora Ullmon die... Applicatio... der Nachtsicht erläutert hatte.

Halb aufgerichtet saß sie unbekleidet in ihrem Bett, kauernd, wie ein in die Ecke gedrängtes wildes Tier, die Hände tief in das Bettlaken gekrallt, ihr Gesicht verzerrt von den widerstreitenden Emotionen, die ihren Geist zu zereissen schienen, den lodernden Blick fest auf das Runenbuch gerichtet. Darin war sie gebannt, all die unheimliche Macht, die sie tief im Innersten fürchtete. Und in der sie sich dennoch von nun an zu üben hatte, in die sie eintauchen müssen würde, zulassen würde sie es von nun an müssen, dass sie von ihr Besitz ergriffe und durch sie hindurch zu wirken begänne. Wie war es nur so weit gekommen?

Sie konnte deutlich den Widerhall ihrer eigenen Stimme in ihrem Kopf hören. "Ich bin dazu bereit, diesen Weg zu gehen. Nur so bin ich dazu in der Lage... Menschen zu beschützen." Und sie wusste wieder, was sie gemeint hatte, mit diesen Worten. Caihum. Das Gespräch mit ihm im Lageraum des Handelkontors, als er ihr die fein gearbeitete Statue gezeigt hatte. Der Gedanke, wie er ungeschützt, mit seinem unbedarften Herz durch das Land zu ziehen beabsichtigte, von dem ihre eigene Tutora behauptet hatte, es sei das Land der Halsabschneider, der Wegelagerer und zwielichten Gestalten... der Gedanke brachte sie tief in ihrem Innern zum Erschauern. Warum drängte alles in ihr sie dazu, ihn beschützen zu wollen?

Ihre Haltung hatte sich inzwischen etwas entspannt, ihre Gesichtszüge geglättet und der Blick ihrer Augen nahm eine nachdenkliche Färbung an. Sie wusste keine Antwort auf diese Frage. Nur ein undeutliches Gefühl regte sich in ihr, ein Gefühl von Verbundenheit und noch etwas anderem, dass sie nicht in Worte zu fassen vermochte. Doch sie erinnerte sich mit gemischten Gefühlen daran, wie er gestern einfach fortgelaufen war, ohne sich von ihr zu verabschieden und dass ihr bei dem kurzen Wortwechsel zwischen ihm und ihrer Tutora der quälende Gedanke gekommen war, dass sie es gewesen sein konnte, ihre Tutora, die Caihum Furcht eingeflößt hatte, als er auf dem Gelände des Magierkonzils gewesen war. Das sie vielleicht der Grund gewesen war, warum Caihum überhaupt von seiner bevorstehenden Reise erzählt hatte und ihr somit Anstoß zur Sorge gegeben hatte, weshalb sie den Entschluss gefasst hatte sich der Magie, die sie in sich trug, nicht länger zu verschliessen, da sie keinen anderen Weg sah, ihn zu beschützen... die Gedanken in ihrem Kopf drehten sich wirr im Kreis und Samira schloß kurz die Augen.

Es war müßig, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen und würde zu ihr stehen. Und mit Caihum würde sie reden, würde herausfinden, wie er zu all dem stand und was genau im Konzil vorgefallen war. Heute zur achten Stunde waren sie beim Tempel der Caihume verabredet und sie würde da sein. Entschlossen griff Samira zu den verschiedenen Teilen ihrer Lederrüstung und zog sie umständlich an. Es war, als würde sie in eine fremde Haut schlüpfen, als lege sie mit der Rüstung eine Bürde auf ihre Schultern, von der sie nicht wusste, ob sie sie zu tragen imstande war. Doch sie musste es versuchen.
ThemaAutorAngesehenDatum/Zeit

In einer fremden Haut

Samira23322. April 2012 15:16



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