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Grundlose Abgründe

Nedime
02. November 2012 17:03
Der Korporal war lange ausgeblieben, erst in den frühen Morgenstunden konnte man seine Gestalt gen der Rast zurückgehen sehen. Nedime ließ sich Zeit, eigentlich mochte sie die Kühle der Nacht jetzt wo sich das Jahr dem Greisenalter näherte nicht, doch in diesen Momenten war sie ihr hilfreich die Hitze in ihrem Kopf zu mildern.
Wortlos schritt sie an den fragenden Augen der Wachmänner vorbei, lediglich Felo wurde mit einigen distanzierten Bemerkungen auf später vertröstet. Aye sie hatte ihn nicht vergessen, doch nun bedurfte sie erst etwas Ruhe um ihre Gedanken zu ordnen.
Der Schlüssel knarzte erbärmlich während er sich im Schloss drehte, den Widerstand der kruden mechanischen Vorrichtung nur mit Mühe vor sich hinschiebend. Drei Mal musste er sich die Mühe machen, ehe Nedime mit ihm zufrieden war und leise aufseufzen konnte.
Endlich alleine.
Die Schreibstube im Nordturm der Rast war selten besucht, gerade in dieser Jahreszeit, in der die Kälte durch die Mauerritzen pfiff, hielt man sich in der Regel von ihr fern. Ein Umstand, der ihr gelegen kam, stellte Nedime fest, während die blassroten Augen des Korporals die Dunkelheit emsig nach Kerzenwachs durchsuchten. Endlich fündig geworden und mit dem Kerzenhalter in der Hand wischte sie den Staub von dem alten Eichentisch und ließ sich endlich auf dem nicht minder schweren Stuhl nieder. Abschweifende Gedanken und Fragen kamen ihr in den Sinn, etwa warum das kleine Zimmer ein derartiges Monstrum an Tisch beherbergte und warum der Stuhl so hoch war, dass ihre Füße den Boden nicht erreichen konnten. Hatte man hier einst einen Giganten eingesperrt?
Die Gespinste von sich schüttelnd, öffnete sie ein altes, klebriges Tintenglas.
Keine Zeit für derartige Nichtigkeiten
Dies für sich selbst befindend, tauchte sie eine Feder in die schwarze Flüssigkeit und starrte abwartend auf das Pergament unter ihr. Das Flackern der Flammen, die wohl ähnlich wie sie einen Kampf mit den hohen Winden austrugen, tauchte die Szenerie in ein unstetes Licht, das die Düsternis der Schatten nur noch mehr zu betonen schien. Es kam selten vor, dass Nedime sich genötigt fühlte ihre Gedanken auf Papier zu bannen und so konnte sie erahnen wie es enden würde: Viel viel später mit einem miserablen Resultat; unpassende Worte überhäuft mit Tintenkleksen und dem Verlangen das eben Verfasste gleich wieder dem Feuer zu übergeben. Dennoch, so hoffnungslos die Aussichten auch waren, macht sie sich ans Werk.

Womit sollte sie nur beginnen? Vermutlich mit einer Auflistung der Geschehnisse, solange sie noch frisch in Erinnerung saßen.
Die Hauptfrau hatte sie zu sich beordert. Nedime konnte anderweitige Verpflichtungen gerade noch rechtzeitig hinter sich bringen um diesem Befehl nachzukommen. In wirklich letztem Moment rannte sie die Stufen hinauf, nur um zu erkennen, dass die Hauptfrau ihren üblichen Standort, von dem sie alle Vorgänge in der Rast überwachen konnte verlassen hatte. Es war jedoch nicht schwierig gewesen ihre Schritte nachzuvollziehen. Vor der befestigen Tür, die zum Saal des Rastherren führte, standen einige Wachen Spalier; selbst für sie selten gesehene Gesichter wie das des Zwergen unter ihrem Befehl, die Tag und Nacht die persönlichste Garde Relors darstellten. Sie hatte lange gebraucht um die Anwesenheit dieses Kleinlings auch nur tolerieren zu können. Ebenso lange hatte sie insgeheim nachgeforrscht, ob jener, wie es die Natur und das Ziel seiner Geschwister war, etwa versucht hätte den Rastherren zu korumpieren und die Herrschaft von Spitzohr und Langbart über die Menschheit auch in diesen Landen durchzusetzen. Ihre Ergebnisse waren wenig zufriedenstellend; entweder war dieser langlebige Gnom ein vortrefflicher Meister der Verstellungskunst, der wusste wie er einen ordentlichen Söldner mimen musste, oder er war tatsächlich ein Ausgestoßener seines Volkes; auf jeden Fall konnte Nedime nichts inkriminierendes feststellen. Und so musste sie, auch wenn sie ihm niemals vertrauen können würde, ihn fürs erste wohl oder übel dulden... vorerst.
Es dauerte ein Weilchen ehe man auf ihr Klopfen reagierte. Als sie schließlich von der Hauptfrau eingelassen wurde, fand sich Nedime in einem blutigen, illustren Kreis wieder. Rechts und links um den Rastherren herum standen, in den Insignien ihres Ordens protzend, Cerdin und begafften sie mit sichtlichem Vorbehalt. Nedime kannte viele der anwesenden Gesichter, doch eines, das sie inmitten der Anderen vermutet hätte, fand sie nicht vor: das des Herren der Verräterin Unica, Steinthor, der ihr aus diesem Grund selbst schon verdächtig worden war.
Schlagartig war ihr Geist hellwach, ihre Lippen aber abwartend. Der Rastherr hatte die Cerdin geladen und sie hatten bestimmt so manches besprochen, ehe Nedime zu ihnen treten sollte. Was würde Nedime wohl nie erfahren, doch konnte sie aus dieser Tatsache herauslesen, dass die Ordensmitglieder, trotz all ihrer Verfehlungen und ihrer wankelmütigen Loyalität immer noch ein größeres Vertrauen genossen, als die stumme und tagtäglich des Rastherren Macht bewahrende Armee seiner Wache.
"Ich habe Gutes von euch gehört", schien Falin Relor, der in diesem Moment mehr Magistrat als Herr zu sein wirkte, die Frage zu beantworten, doch Nedime war nicht stumpfsinnig genug um sich damit zufrieden zu geben.
Von euch... nicht über euch; eine ausgelegte Falle, die die gefährliche Doppeldeutigkeit der Nordlandzunge gebrauchte. Nedime kontemplierte einen Augenblick den Sinn und die Bedeutung dieses scheinbaren Versuchs, sie durch Schmeichelei zu entwaffnen. Vor den Augen all dieser Cerdin fühlte sie sich zurück in die Arena versetzt und der Rastherr musste wohl zumindest ebenfalls die Macht des Publikums erkannt haben und sich auf einer Bühne zu wissen, auf der Theater gespielt wird. Jedes Wort, das er an sie richtete, galt nicht ihr allein. Was für andere wie ein höfliches, aber unverbindliches Lob klingen mochte, wurde in ihrem Ohr zu viel viel mehr.
Sie hatte nicht vergessen, wie er ihre Bemühungen in der Vergangenheit verlacht, ihre Warnungen verworfen, ihre Beweise für ungültig erklärt und, so ob der erdrückenden Kraft ihrer Argumente und der Last der sich aufdrängenden Einsicht nichts anderes mehr übrig bliebt, sie lächerlich gemacht hatte. Oh nein, sie wusste noch ausgezeichnet, als er ihr auftrug in absolute, in Wahrheit aber einseitige Kooperation mit dem Blutorden zu treten und dabei im Geheimen jenem befahl hinter dem Rücken der Rastwache zu agieren. Es hatte sich ihr unauslöschbar ins Gedächtnis gefressen, dass ihre Entscheidungen und Verordnungen ohne den Hauch einer Erklärung revidiert und offensichtliche Feinde und Verräter statt Tod und Verbannung mit dem Mal der Unantastbarkeit versehen wurden.

"Eure Fähigkeiten sind sehr wertvoll für die Hauptfrau", war der Rastherr schließlich fortgefahren.
Für die Hauptfrau, nicht für mich; konnte Nedime diesem so harmlosen Satz eine gefährlichere Pointe aufsetzen.

Falin Relor: "Seid ihr bereit eure Fähigkeiten in den Dienst meines Ordens zu stellen?"
Vor diesen Cerdin das Knie beugen und mich diesem Kartenhaus von Obscuratium unterwerfen, dessen Zusammenbruch ich an meinem ersten Tag in diesen Landen an eindeutigen Anzeichen vorhergesehen habe?

"Ich diene euch, seitdem ich die erste Münze von euch nahm. Es ist wohl kaum ein Geheimniss, dass ich dabei mit einigen der Herren aneinandergeraten bin, als unsere Ansichten, wie euch zu dienen ist, divergieren."

Nedime hörte das Räuspern und Hüsteln um sie herum und empfand es als genugtuende Bestätigung. Der Orden war alt und grau geworden und wirkte, entgegen seines Namens einfach nur noch blutlos. Er hatte sich so lange daran gewöhnt als höhnisch billiger Abklatsch einer Aristokratie an der Spitze zu stehen, dass es ihm kaum in den Sinn kommen mochte, dass er längst ein Relikt geworden war. Ehre dem Starken blökten sie wie die Schafe, doch wenn sich wirklich Stärke zeigte, so suchten sie einander mit panischen Blicken und versuchten sich gegenseitig ihrer schwächelnden Macht zu versichern.
Dass eine einfache Wache, eine Gold nehmende Söldnerin wagte der Allwissenheit umschmeichelter Cerdin eine Alternative vor- und durchzusetzen, brüskierte sie. Doch würden sie den Aufschrei der Empörung nicht zurückhalten können, hätten sie erkannt, dass Nedimes Worte in erster Linie garnicht an sie gerichtet waren, sondern einen viel signifikanteren Herren unter ihnen ansprachen.
Nedime musterte den Rastherren genau. Hatte er verstanden, dass zu den angesprochenen Herren auch er selbst zählte?

"Das ist mir zu Ohren gekommen" ließ er nur verlauten und sie damit im Ungewissen.

Doch sie war noch nicht fertig.

"Ihr wisst wo meine Loyalität liegt, wenn ihr wünscht kann ich sie aber erneut in Worte fassen. Ich schätze den Vertrag den ich mit euch eingegangen bin und werde bis zum Tode für euch kämpfen. Wenn der Blutorden ebenfalls an derlei Zielen interessiert ist, so mag er mir, der Hauptfrau und all unseren Wachen folgen. Wir werden ihn mit offenen Armen empfangen."

Aufdringliche Stille sprang ihr von allen Seiten entgegen. Keiner der Cerdin wollte oder konnte daraufhin etwas sagen. Der Fehdehandschuh war ausgeworfen worden, und doch lag er unangerührt herum.
Gut genug, dachte sich Nedime insgeheim; sollte es doch dem Rastherren zeigen, dass sein hochgeschätzter Orden nicht dazu bereit war, Ständestolz zu überwinden um seine Loyalität zu bekunden. Lieber stellten sie jene in Frage, als sich auch nur gedanklich auf eine Stufe mit einer simplen Söldnermiliz wie der Rastwache zu stellen.


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Etwas hielt Nedimes Hand davon ab, den Federkiel weiter zu führen, was diesen rasch dazu motivierte ekelhaft vor sich hinzutropfen. Von dem Spezialauftrag durfte auch Pergament nichts allzu eindeutiges erfahren.

Hmpf, wenngleich der Rastherr höchstselbst im Moment als er von der Geheimhaltung sprach diese auch schon verletzte.

Nedime schüttelte Müde den Kopf und suchte sich zu besinnen. Cayenne und Unica wurden ihr an die Seite gestellt; oder sollte sie an der Seite jener dienen? Es machte keinen Unterschied, wusste Nedime doch zwischen den Zeilen zu lesen. Und sie spürte auch rasch, dass sie ein Fremdkörper in einer gemütlichen Ordnung war. Es war unerhört wie unvorsichtig der Blutorden vorging. Wichtige Artefakte wurden den Händen von Feinden überlassen und man gab sich mit der Hoffnung zufrieden, dass jene schon nicht mehr herausfinden würden, weil sie durch das Wort einer Novizin zum Schweigen verurteilt worden waren und irgendwelche ominösen Freundschaften galten als Garant dafür, nicht verraten werden zu können.
Natürlich konnte dies alles lediglich Heuchelei gewesen sein. Nedime machte sich keine Illusionen. Der Blutorden hatte mit Sicherheit einen Informationsvorsprung und war mit wichtigeren, entscheidenderen Aufträgen betraut worden. Das, womit man sie abgespeißt hatte, war lediglich alles was sie wissen musste, um ihren Teil zu erfüllen. Dass dieser Teil beeinhalten würde, dass sie als entbehrliches Opfer enden würde, hatte durchaus seine Plausibilität.
Unica würde keine Zeit vergeudet und sie umgehend verraten haben. Nedime hoffte zumindest, dass der Rastherr dies vorhergesehen und miteingeplant hatte. Andernfalls waren ihre Bemühungen, so diese Informationen auf fruchtbare Erden fielen, von vornherein zum Scheitern verurteilt.


Ein auftretendes Heulen ließ sie aufschrecken und dabei den Ellbogen gegen den Kerzenhalter stoßen. Fluchend konnte sie nur noch zusehen, wie sich das geschmolzene Wachs auf dem Pergament verteilte und ihre mühsam gekritzelten Buchstaben verschluckte. Es würde einen Moment dauern, bis es soweit erstarrt war, um ohne große Sauereien heruntergebrochen zu werden. Ein Blick zur Seite verriet ihr, dass der Wind den Fensterbalken aufgestoßen hatte und nun lautstark in das Turmzimmer wehte. Dann sah sie nichts mehr, als die Kerzenflammen dahingerafft wurden und das Dunkel obsiegte.



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Nedime40402. November 2012 17:03



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