Ivy war unruhig. Die halbe Nacht hatte sie sich um die Ohren geschlagen und mit sich selbst im Geiste über das Geschehene Streitgespräche geführt. Der Mann war schon seltsam, ungewöhnlich. Und gerade deshalb ließen sie ihre Gedanken um ihn und das Geschehene nicht los.

Es war überaus befremdlich für sie gewesen zu erfahren, wie entschieden Gernot offenbar einen Kampf zu vermeiden suchte. Das war geradezu seltsam, besonders wenn sie sein Verhalten mit denen anderer Männer verglich, denen sie hier in der Rast tagtäglich begegnete. Diese Männer bedrängten sie immer wieder und forderten sie, sich im Kampf mit ihnen zu messen. Als ob sie daran interessiert sein könnte sich von jemandem grün und blau prügeln zu lassen!, platzte ihr die eigene, gewöhnlich auf solche Anfragen pikiert vorgetragene Antwort durch den Kopf. Obwohl.....Sie schmunzelte ein wenig vor sich hin, bis sich ihr Gesicht wieder grüblerisch umwölkte. Warum nur mochte ihr Gernot für einen Kuss den Sieg über eine ganze Kampftruppe versprochen haben, wenn er jetzt so kläglich gescheitert war? Er musste doch seine Kräfte und Fähigkeiten kennen. Ob er wohl krank und nicht bei Kräften gewesen war? Oder ob er sie selbst wie und warum auch immer prüfen wollte??!

Feststand, dass die Prüfung oder vielmehr das Ergebnis ebenjener in die Hosen gegangen war, geradezu kläglich, und das nicht nur für ihn, sondern auch für sie und ihre Pläne. Solche Niederlagen konnte Ivy überhaupt nicht leiden! So beschloss sie der Sache näher auf den Grund zu gehen. Irgend etwas war einfach nicht glatt und passte schlichtweg nicht zusammen. Sie hatte den Mann mit nichts wirklich locken und fesseln können. Dabei war er keineswegs konturlos, sondern einfach nicht greifbar. Nur für sie? Was für ein Tor!, brauste es kurz in ihr auf. Bewusst oder auch unbewusst hatte er der Mann den Spieß umgedreht und ihr den Wind aus den Segeln genommen. Ja sie hatte ihn nicht einmal mit den lächerlichen fünfzig Goldstücke reizen und empören können! Ivy war hin und her gerissen und unschlüssig, was sie von der ganzen Angelegenheit halten sollte. Was mochte sich dahinter verbergen? Vielleicht war der Mann es ja wert, sich um ihn Gedanken zu machen und zu bemühen, vielleicht hatte sie ihn aber auch nur überschätzt. In jedem Fall war das alles ihr ein Rätsel. Schlußendlich hinterlegte sie für den Söldner eine Nachricht bei Zorda. Die Schrift war dieses Mal eine andere als bei ihrer ersten Nachricht, die sie ihm hatte zukommen lassen. Am Hals der Weinflasche hing ein mit einer Schnur befestigter Streifen Pergament mit der folgenden Aufschrift:

'Ich hoffe, ich habe die Prüfung bestanden! Ivy'


Mit einem wagen Gefühl von Zufriedenheit und gespannter Hoffnung machte sich Ivy dann auf den Weg. Sie schlängelte sich so unauffällig sie es vermochte zwischen den die Rast umsäumenden Häusern hindurch Richtung Grenze und schlüpfte, wie sie es schon seit vielen Monden immer wieder tat, durch den Grenzwald hinüber ins Herzogtum.



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 03.11.12 10:56.